Adler nannte seine Lehre Individualpsychologie und meint damit das unteilbare Ganze eines jeden Menschen. Jeder Mensch ist ein „Unteilbares“, ein „Individuum“, Körper und Psyche sind ganzheitlich zu sehen. Die Individualpsychologie interpretiert den Einzelnen, wie die Sozialpsychologie, in einer wechselseitigen Abhängigkeit von der Gesellschaft und als Teil sozialer Prozesse.

Mit seiner frühen Studie über die Minderwertigkeit von Organen (1907) zeigte Adler den Zusammenhang zwischen Organminderwertigkeit und Lebensschicksal auf und legte damit die Grundlage für das Verständnis von körperlicher und psychischer Kompensation, Überkompensation und für die spätere Psychosomatik. Das beim menschlichen Säugling aufgrund seiner Hilflosigkeit vorhandene Minderwertigkeitsgefühl sah Adler als positiven Antrieb für Wachstum und Entwicklung und führte die Erziehbarkeit des Menschen darauf zurück. Erst negative Faktoren in seiner Entwicklung verändern das positive Minderwertigkeitsgefühl zu einem entwicklungshemmenden Minderwertigkeitskomplex. Das überhöhte Geltungsstreben oder der Wille zur Macht stellt nach Adler bereits eine seelische Überkompensation eines verstärkt erlebten Minderwertigkeitsgefühls dar und gilt für ihn als seelische Krankheitserscheinung.

Die individualpsychologische Lehre ist von demokratischen Idealen und einem humanistischen Sozialismus inspiriert und begreift den Menschen stets als soziales Lebewesen. Für Adler war der Mensch eingebettet in die Gemeinschaft der Mitmenschen, aus der sowohl die Fragen seines Lebens als auch die heilenden Antworten erwachsen. Die Höhe der Beitragsleistung eines Menschen zur allgemeinen Wohlfahrt, die Art wie er seine Lebensfragen löst, war für Adler der Gradmesser für seine psychische Gesundheit. Lebensangst und Minderwertigkeitsgefühl könnten nur durch eine tragfähige zwischenmenschliche Beziehung überwunden werden.

Adler sah die menschliche Persönlichkeit als unteilbares Ganzes, die als souveräne und selbstbestimmende Macht, mit einem relativen Maß an Freiheit die Lebensumstände stilvoll verwertet ohne dabei biologisch oder durch ihr Milieu determiniert zu sein. Alle Lebensäußerungen haben nicht kausalen, sondern finalen Charakter und sind auf die Zukunft gerichtet. Adler nannte diese unbewusste Ausrichtung (unbewusste Fiktion) auf ein Ziel auch Lebensstil, Lebensplan, Persönlichkeitsideal oder personale Finalität. Kultur, Kunst, Wissenschaft, Philosophie und Menschenwürde sah er als Produkt des evolutionären Vollkommenheitsstrebens des Menschen.

Das Gemeinschaftsgefühl bildet den Grundpfeiler der Individualpsychologie, alle übrigen individualpsychologischen Begriffe können nur im Zusammenhang mit ihm verstanden werden. Das Gemeinschaftsgefühl hat seinen Ursprung in der frühen Beziehung zwischen Mutter und Kind.  Es wird in den ersten Lebensjahren geprägt und wird zum unbewussten, relativ konstanten Persönlichkeitsanteil. Das Gemeinschaftsgefühl ist zur Lösung der drei von Adler genannten Lebensaufgaben Arbeit – Liebe – Gemeinschaft von zentraler Bedeutung. Im wachsenden Gemeinschaftsgefühl und mitmenschlicher Verbundenheit sah Adler die Wurzel zur Förderung der Gesamtheit und zur Verhinderung von vom Menschen gemachten Katastrophen.

Adlers positives Menschenbild kommt im folgenden Zitat zum Ausdruck:

„Der Mensch ist von Natur aus nicht böse. Was auch ein Mensch an Verfehlungen begangen haben mag, verführt durch seine irrtümliche Meinung vom Leben, es braucht ihn nicht zu bedrücken; er kann sich ändern. Er ist frei, glücklich zu sein und andere zu erfreuen.“